Biografisch erworbene subjektive Theorien zur Begründung biografischer Selbstreflexion in der Lehramtsausbildung - PDF Free Download (2024)

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1 Friederike Heller und Myriam Schwarzer, November 2010 Biografisch erworbene subjektive Theorien zur Begründung biografischer Selbstreflexion in der Lehramtsausbildung Einleitung NORBERT NEUSS, Dozent für die erziehungswissenschaftliche Ausbildung von Lehramtsstudierenden der Universität Gießen schildert folgenden Sachverhalt: In seiner Didaktik-Vorlesung arbeitete er mit Unterrichtsvideos. Ziel der Übung war die Thematisierung von gutem und schlechtem Unterricht. In der Evaluation fand er heraus, dass 46% der Studierenden eine positive Meinung über den Unterricht hatten, 41% sich hingegen eindeutig negativ gegenüber demselben Unterricht äußerten. Diese Unterschiede in der Beurteilung von Unterricht sieht NEUSS in biografischen Vorstellungen begründet, die in der Schülersozialisation entwickelt worden sind, also in den Erfahrungen, die die Studierenden bereits als Schüler in der Schule gesammelt haben 1. Gerade im Bereich Erziehung werden von jedem zahlreiche unterschiedliche Erfahrungen gesammelt, da jeder einen großen Teil seines Lebens selbst Objekt von Erziehung ist. So erfährt man Erziehung und Erziehungsstile in Familie, Kindergarten, Schule und außerschulischen Bildungseinrichtungen und wird in seinen Vorstellungen durch diese Erfahrungen und Vorbilder stark geprägt. Bleiben diese biografischen Erfahrungen bei zukünftigen Pädagogen unreflektiert, besteht das Risiko, dass eigene Erziehungserfahrungen im pädagogischen Handeln einfach übernommen und nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen von pädagogischer Professionalität ausgerichtet werden. Das Kennen der eigenen subjektiven Theorien und des pädagogischen Selbstverständnisses ist von Bedeutung, da es als weitgehend selbstverständlich gilt, dass diese Theorien das professionelle Handeln von Lehrern beeinflussen 2. Dieses Lehrerhandeln entscheidet dann über die Qualität des Unterrichts und die Leistung der Schüler 3. Die Bedeutung der biografisch erworbenen subjektiven Theorien wird umso größer, wenn man Forschungsergebnisse von WAHL betrachtet. Für eine Befragung schilderte er Absolventen des Lehramtsstudiums, Studienanfängern des Lehramts und 14-jährigen Schülern pädagogische Situationen und bat sie, eine Diagnose zu stellen bzw. darzustellen, was sie tun würden. Er fand heraus, dass alle sofort Diagnosen stellen und ihre Handlungen beschreiben konnten und dies gleich gut! Die Absolventen griffen demnach nicht auf ihr im Studium erworbenes pädagogisches Wissen zurück, sondern bezogen sich auf ihr biografisch erworbenes implizites Erfahrungswissen aus der eigenen Schulzeit 4. Im Folgenden wollen wir nun zuerst den Begriff subjektive Theorien genauer bestimmen, dann darauf eingehen, wie subjektive Theorien entstehen und damit den Bogen zur eigenen Biografie schlagen. Im letzten Abschnitt wollen wir daraus ein erklärendes Fazit für unser Seminar ziehen. Subjektive Theorien eine Begriffsbestimmung Übung zum Hineindenken: Sollten Kinder Haustiere besitzen? Sie können auf diese Frage sicher eine Antwort geben und diese Antwort auch belegen sie stellt Ihre eigenen subjektiven Theorien zum Thema Kinder und Haustiere dar. Nach dieser Theorie werden Sie handeln (bspw. Ihren eigenen Kindern ein Haustier schenken oder eben nicht) und es wird nicht ganz leicht sein, Sie vom Gegenteil zu überzeugen. 1 Vgl. Neuß 2009, S. 34ff. 2 Vgl. Baumert/Kunter 2006, S Vgl. Diedrich u.a. 2002; Staub/Stern 2002; Stipek u.a. 2001; Aguirre/Speer 2000; Carpenter/Fennema 1992; Peterson u.a Vgl. Wahl

2 Der Begriff subjektive Theorien fand mit einem von GROEBEN u.a veröffentlichten Forschungsprogramm Einzug in die Fachdiskussion um die Beschreibbarkeit von handlungsleitenden Kognitionen von Lehrern und die Organisation verschiedener, für ihren Beruf relevanten Wissensbereiche 5. Seitdem ist er trotz kritischer Auseinandersetzungen 6 aus der Debatte nicht mehr wegzudenken und wird in Artikeln, die professionelle Wissensdomänen und handlungsleitende Kognitionen beschreiben, aufgegriffen 7. Mit diesem Konstrukt werden laut der Definition BROMMES u.a. Kognitionen bezeichnet, die Handlungen leiten und/oder rechtfertigen. Grundidee ist, dass das handelnde Subjekt sich auf Annahmen, Hypothesen und Beobachtungen stützt, die man in Analogie zu wissenschaftlichen Theorien beschreiben kann 8. GROEBEN u.a. führen die Bestimmung des Begriffs weiter aus. Sie verstehen unter subjektiven Theorien komplexe Aggregate von kognitiven Konzepten. Ihre Struktur und ihre Funktion sind denen wissenschaftlicher Theorien ähnlich. Die in der Theorie enthaltenen kognitiven Konzepte sind zu relativ überdauernden und impliziten Argumentationsstrukturen verbunden 9. Dabei haben die subjektiven Theorien für das Individuum dieselbe Funktion wie objektive Theorien für den Wissenschaftler. Sie erfüllen die Funktion der Erklärung und Prognose und zwar sowohl in Bezug auf das Individuum selbst, dessen Handeln, Denken und Fühlen, als auch in Bezug auf ichunabhängige Ereignisse in der externen Welt 10. Bezüglich der Bedeutung der subjektiven Theorien für das Individuum geht PAJARES von existentiellen Annahmen, von unwiderlegbaren, persönlichen Wahrheiten aus, die jeder hat. Sie sind die für das Individuum garantierten Überzeugungen über die physische und soziale Realität und das Selbst 11. Sie helfen dem Individuum die Welt und sich selbst zu definieren und zu verstehen 12. Ein Infragestellen dieser Überzeugungen kommt dann einem Zweifeln am eigenen Verstand gleich 13. Wir alle haben also zahlreiche subjektive Theorien. Sie stellen die Grundlage unseres Weltverstehens dar, erklären uns also die Welt und beeinflussen unser Handeln. Die Entstehung subjektiver Theorien An dieser Stelle soll nun der Frage nach der Entstehung subjektiver Theorien nachgegangen werden. Dies ist im Rahmen unseres Seminars von Bedeutung, weil diese Entstehung mit der eigenen Biografie und damit direkt mit dem Individuum verbunden zu sein scheint. Diesen Ansatz verfolgt auch HELSPER, der eine empirisch gefundene Verbindung zwischen der Herausbildung eines pädagogischen Lehrerhabitus' mit dem Gesamthabitus der Person sieht 14. HELSPER spricht von der schulisch-beruflichen Einsozialisation, die mit vorschulisch-familiären und den Erfahrungen als Schüler beginnt 15, mit dem also, was das Individuum in seiner Biografie gelernt hat. Der Begriff Biografie setzt sich zusammen aus dem griechischen bios (Leben) und graphein (schreiben), es handelt sich also um eine Lebensbeschreibung, also genau genommen um einen Text 16. Eine andere Definition schlagen GUDJONS u.a. vor. Sie verstehen Biografie als eine in einem lebenslangen Prozess erworbene Aufschichtung von Erfahrungen, die bewusst oder unbewusst geronnen in unser Handeln eingehen. 17 Biografie ist dabei keine ahistorische oder ungesellschaftliche Privatsache, vielmehr geht es um Erfahrungen, die in konkreten gesellschaftlichen und geschichtlichen Bezügen erworben werden 18. Die Lehrerbiografieforschung steht mit der Forschung zu subjektiven Unterrichtstheorien also insofern in Zusammenhang, als dass sie eine berufsbiografische Einbettung subjektiver Theorien 5 Vgl. Groeben u.a Vgl. Bromme 2003; Wieser 2008, S Vgl. Baumert/Kunter 2006; S. 499; Bromme u.a Vgl. Bromme u.a. 2006, S Vgl. Groeben u.a. 1988, S Vgl. ebd., S Vgl. Pajares 1992, S Vgl. ebd., S Vgl. ebd., S Vgl. Helsper 2007, S Vgl. Helsper 2002b, S. 71, S Vgl. Schulze 2006, S Gudjons u.a 1992, S Vgl. ebd. 2

3 bieten kann. Der Beruf wird dabei im Zusammenhang mit individuell verlaufenden Lern- und Entwicklungsprozessen, dem Lebenslauf bzw. der Identitäts-entwicklung gesehen 19. Doch wie genau kann man sich die Verbindung von Biografie und subjektiven Theorien nun vorstellen? ZEICHNER und GORE untersuchen die Einflüsse auf die Sozialisation von Lehrern, die schon vor der Lehramtsausbildung liegen, und nehmen an, dass sie weit einflussreicher als die Lehramtsausbildung oder berufspraktische Erfahrungen sind. Dabei systematisieren sie in drei Erklärungsansätze: den evolutionstheoretischen, den psychoanalytischen und den Ansatz des Modelllernens. Die Evolutionstheorie nimmt ein natürliches Generationenlernen an, nach dem Kinder von Erwachsenen, also auch von Lehrern nicht nur Wissen lernen, sondern auch lernen, Lehrer zu sein 20. Der psychoanalytische Ansatz besagt, dass die Sozialisation von Lehrern zu einem großen Teil durch die Qualität der Beziehungen, die Lehrer als Kinder zu bedeutenden Erwachsenen wie Eltern und Pädagogen hatten, geprägt wird. Das Lehrerwerden ist damit ein teilweise unbewusster Prozess, zu ähnlichen Personen zu werden und diese Beziehungen zu replizieren. Frühere Beziehungen zu Erwachsenen sind damit Prototypen für folgende Beziehungen, in denen nun die Erwachsenenrolle eingenommen wird. Die Auswirkungen dieser Beziehungen auf die eigene Persönlichkeit wirken sich daher auf das Lehrersein aus. Eine Studie von COMBE ist eher im Rahmen des psychoanalytischen Erklärungsansatzes zu sehen: COMBE interpretiert Interviews mit Hilfe psychoanalytischer Hypothesen und Theorien und führt gegenwärtige berufliche Probleme, Konflikte und Ängste interviewter Personen auf Erziehungs- und Sozialisationserfahrungen in der Herkunftsfamilie zurück. So tragen die Lehrer des sensitiven Typus unverarbeitete Kindheitserfahrungen von Kränkung und Unterdrückung als Solidarität mit Hilfsbedürftigen mit in die Schule. Der dogmatische Typ hingegen blendet, wie gelernt, seine Person aus und identifiziert sich mit der Institution und ihren Anforderungen, denn Konstanz und Verlässlichkeit in der Beziehung zu seinen Eltern hat er nicht erlebt 21. PAJARES erwähnt ebenfalls Studien, in denen gezeigt werden konnte, dass die Kindheitserinnerungen bzw. die Erinnerungen an Unterrichtsmethoden das Lehrerhandeln beeinflussten. Er hält fest, dass Lehrer von leitenden Bildern der Vergangenheit oder kritischen Episoden der eigenen Kindheit bzw. Schulzeit beeinflusst werden, die als Filter für neue Informationen dienen und die Interpretation sowie das Lehrerhandeln beeinflussen, indem sie festlegen, wie Lehrer eigenes Wissen übersetzen und nutzen 22. Dabei kann auch ein besonders einflussreicher eigener Lehrer eine wichtige Rolle spielen 23. Der dritte Erklärungsansatz ist der eines apprenticeship of observation, der dem Ansatz des Modelllernens, wie es auch STERN in diesem Zusammenhang erwähnt 24, sehr nahe kommt. Hierbei wird angenommen, dass Schüler Lehrermodelle verinnerlichen, die sie als Schüler im engen Kontakt mit ihren Lehrern erleben. Dabei halten ZEICHNER und GORE offen, ob dies ein hochgradig selektiver und bewusster Prozess ist, in dem Lehramtsauszubildende verschiedene Eigenschaften und Handlungsweisen unterschiedlicher Lehrer in eine neues Modell synthetisieren, welches sie gerne werden würden 25, oder ob dies ein unbewusster Prozess ist. Zumindest über den Erklärungsansatz des Modelllernens besteht zunächst einmal weitgehend Einigkeit in der wissenschaftlichen Literatur. Der Lehrerberuf weist die Einzigartigkeit auf, dass Lehrer die Ausübung ihres Berufes schon in der eigenen Schulzeit eingehend beobachten und erfahren können 26. Einigkeit scheint auch darüber zu bestehen, dass dies nicht ohne Einfluss auf die eigene Lehrertätigkeit bleibt 27. So erwähnt STERN, dass jeder auch ohne systematische Ausbildung, nur mit Hilfe eigener Lehrervorbilder unterrichten könnte. Junge Lehrer unterrichten so, wie sie es bei ihren eigenen Lehrern gesehen haben 28. Teachers teach the way they have been taught, and not as they have been taught to teach, hält KORTHAGEN in diesem Zusammenhang fest Vgl. Terhart 1995, S Vgl. Zeichner/Gore 1990, S Vgl. Terhart 1995, S Vgl. Pajares 1992, S Vgl. ebd., S Vgl. Stern 2009, S Vgl. Zeichner/Gore 1990, S Vgl. Wahl 2001, S.161; Stern 2009, S. 355; Bromme u.a. 2006, S Vgl. Baumert/Kunter 2006, S. 506; Törner/Rolka/Wüllner 2005, S. 158; Zeichner/Gore 1990, S Vgl. Stern 2009, S Korthagen 1993, S

4 HOLLINGSWORTH beschreibt, dass Lehramtsstudierende bestimmte Ideen über das Unterrichten und Lernen haben. Sie verfügen über grob formulierte Erziehungsphilosophien, die ihnen persönlich erklären, was Lehrer tun und wie Schüler im Unterricht lernen 30. HOLLINGSWORTHs Studien belegen dann auch, dass Überzeugungen, die vor der Lehramtsausbildung ausgebildet wurden, eine bedeutende Rolle spielen und mit den Inhalten der Ausbildung interagieren. Diese Überzeugungen sind sehr stabil und fungieren als eine Art Filter für das Neue der Ausbildung und des Unterrichtens 31. Auch PAJARES schreibt, dass die Tausenden von Stunden, die Lehramtsstudierende als Schüler im Unterricht verbracht haben, eine fruchtbare Grundlage für die Entwicklung von Überzeugungen sind, die Studierende dann mit in die Ausbildung und den Unterricht nehmen. One's personal predispositions are not only relevant but, in fact, stand at the core of becoming a teacher. Die Überzeugungen enthalten zum Beispiel Ideen darüber, wie man ein effektiver Lehrer sein kann oder wie Schüler sich verhalten sollten 32. Theorien, die nicht zu den eigenen Theorien passen, werden ausgefiltert und werden nicht handlungswirksam. Das Modelllernen scheint also eine bedeutende Rolle zu spielen und soll an dieser Stelle nun genauer beschrieben und auf die Unterrichtssituation angewendet werden. Modelllernen ist laut ZIMBARDO und GERRIG der Prozess, neue Reaktionen durch Beobachtung des Verhaltens anderer zu lernen. Je nach dem, ob dieses Verhalten bestärkt oder bestraft wurde, verhält sich die beobachtende Person ähnlich oder nimmt von diesem Verhalten Abstand. Dahinter steckt die Erwartungshaltung, die gleiche Verstärkung zu erhalten bzw. die gleiche Bestrafung zu vermeiden. Lernen am Modell bedeutet also ein Lernen von den Fehlern und Erfolgen anderer. In diesem Lernprozess können auch große, integrierte Verhaltensmuster erworben werden 33. Übertragen auf die Unterrichtssituation lernen Schüler also durch Beobachtungen ihrer selbst und ihrer Mitschüler nicht nur welche Lehrer insgesamt, sondern auch was genau im Handeln der Lehrer bestärkt und was bestraft wurde. In ihrem späteren Lehrerhandeln verhalten sie sich derart, dass sie von ihren eigenen Schülern die gleiche Verstärkung bekommen bzw. der Bestrafung entgehen. Schüler erleben in ihrer Schullaufbahn jedoch viele Lehrer. Wann wird ein Modell nun besonders einflussreich? Zunächst einmal muss das Verhalten für den Beobachter gut beobachtbar sein und das Modell muss gegen andere konkurrierende Modelle hervorstechen. Darüber hinaus muss der Beobachter dafür belohnt werden, seine Aufmerksamkeit auf das Modell zu richten. Die unzähligen Unterrichtssituationen, in denen typischerweise nur ein Lehrer anwesend ist, der zudem auf die Aufmerksamkeit seiner Schüler angewiesen ist, scheinen diese Bedingung gut zu erfüllen. Der Beobachter muss zudem an sich und seinen Mitschülern wahrnehmen, dass das Verhalten verstärkende Konsequenzen hat 34. Worin sie bestehen, was Schüler also an Lehrern schätzen, mag sehr verschieden sein. GERHART erwähnt als verstärkende Konsequenz ein gesteigertes Können, verbunden mit einem erweiterten Fähigkeitsselbstkonzept und einem erhöhten Selbstwert 35. Das Modell muss jedenfalls als positiv, beliebt und respektiert wahrgenommen werden und hinsichtlich der Eigenschaften und Merkmale Ähnlichkeit mit dem Beobachter aufweisen. Sein Verhalten muss zudem im Rahmen dessen liegen, was der Beobachter überhaupt imitieren kann 36. Übertragen auf das Lernen von Lehrern bedeutet dies nun, dass Lehrer ihre eigenen, ihnen in gewisser Weise ähnlichen Lieblingslehrer imitieren. Wobei das Konzept des Modelllernens nicht aufklären kann, warum Schüler genau diesen einen Lehrer zu ihrem Lieblingslehrer erklären und welche biografischen und pädagogisch-psychologischen Prozesse dabei eine Rolle spielen. Dennoch scheint das Konzept einen erklärenden Beitrag zu dem oben erwähnten Phänomen der Imitation zu bieten. Es wird deutlich, dass der psychoanalytische Erklärungsansatz und der des Modelllernens sich keineswegs gegenseitig ausschließen. Sowohl vorschulische als auch schulische Erfahrungen mit bedeutenden Erwachsenen, die möglicherweise unaufgearbeiteten Konflikte mit sowie die beobachteten Handlungsweisen dieser Erwachsenen können sich auf die subjektiven Theorien eines Pädagogen und damit auf sein Handeln auswirken. Deutlich wird damit auch die enge Verknüpfung der Theorien und des Handelns mit der eigenen Person und ihren biografischen Hintergründen. 30 Vgl. Hollingsworth 1989, S Vgl. ebd., S Vgl. Pajares 1992, S Vgl. Zimbardo/Gerrig 2004, S Vgl. Zimbardo/Gerrig 2004, S Vgl. Gerhart 2006, S Vgl. Zimbardo/Gerrig 2004, S

5 Übung zum Hineindenken: Sollten Kinder Haustiere besitzen? Sie haben in der Kindheit sicher Erfahrungen zum Thema Kinder und Haustiere gesammelt. Vielleicht hatten Sie selbst oder eine andere Ihnen bekannte Person ein Haustier oder Sie wollten gerne eines haben. Wenn Sie in Ihrer Biografie nach möglichst vielen dieser Erfahrungen suchen und diese miteinander in Beziehung setzen, könnten Sie einen Zugang zur Herkunft Ihrer subjektiven Theorie bekommen. Biografische Arbeit im Seminar Biografische Selbstreflexion Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Ausbildung von Pädagogen und demnach auch für unser Seminar? ZEICHNER und GORE fordern eine Forschung, die bei Lehramtsstudierenden zu einem größeren Bewusstsein ihrer eigenen Sozialisation in den Lehrerberuf beiträgt 37. Ein biografisches Arbeiten mit Studierenden dieser Berufsrichtungen ist halten unter anderem auch GUDJONS, REICH, KRAUL/MAROTZKI, KÜHN und BASTIAN/HELPSER für bedeutsam 38. Biografiearbeit, oder auch biografisches Arbeiten stellt dabei die gezielte Arbeit an der persönlichen Entwicklung, die die individuelle Lebensgeschichte in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, dar. Es geht also um das Wahrnehmen und Verstehen subjektiver Sinnstrukturen und ist in konkrete Formen der Unterstützung und Begleitung eingebunden. Die Ziele von Biografiearbeit sind je nach Ausrichtung mannigfaltig benannt: Entwickeln autobiografischer Kompetenz, verstärktes Wahrnehmen und Betrachten, vertieftes Verstehen und bewusstes Gestalten des eigenen Lebenswegs, Erforschen neuer Handlungsperspektiven, Aufdecken und Verändern von Mustern, Steigern von Reflexivität und Flexibilität, Bearbeiten von Krisen oder Festigen der Identität 39. STILLER fasst seine Ansprüche an Selbstreflexion von Pädagogen wie folgt zusammen: Für Erzieherinnen und Erzieher ist sie [die Biografiearbeit, F.H.] deshalb unerlässlich, weil ohne Reflexion die Gefahr besteht, dass die selbst erfahrene Erziehung unbewusst und unkontrolliert über Übertragung, Projektion und andere Mechanismen in die aktuelle Erziehungspraxis einfließt. 40 Dadurch werden sie nicht an professionellen Standards und wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet. Problematisch erscheint auch die Tatsache, dass die Akteure in pädagogischen Interaktionen meist unter einem enormen Handlungsdruck stehen und nur sehr wenig Zeit, selten mehr als wenige Sekunden, auf Problemanalysen verwenden können 41. Um schnell und souverän auf Anforderungen reagieren zu können, entstehen Verknüpfungen von Situations-Prototypen und Handlungsoptionen, die dann als Handlungsmuster dienen. Sie werden aus früheren Bewältigungserfahrungen abgeleitet 42. Der Zeitdruck, die erwähnten Verknüpfungen und das leichtere Verändern von Handlungsroutinen durch ein Kennen der eigenen Theorien sprechen u.a. dafür, bereits früh in der Pädagogenausbildung eigene Lernerfahrungen, Überzeugungen, Vorbilder, Vorstellungen, Strategien und moralischen Zielen 43 wahrzunehmen, zu reflektieren und zu verstehen. Im Zuge der Professionalisierungsdiskussionen von Lehrern betont HELSPER die Notwendigkeit eines berufsbiografischen, reflexiven Wissenstypus als Teil des Lehrerwissens, REH und SCHELLE bauen darauf auf und beschreiben die Qualifizierung und Entwicklung von Pädagogen als einen lebenslangen Prozess, in dem Selbstreflexion eine zentrale Rolle spielt, das eigene Handeln zu verstehen Vgl. Zeichner/Gore 1990, S Vgl. Neuß, 2009, S. 92.; Gudjons 1992, S Vgl. Reich 2008, S. 9f; Kraul/Marotzki 2002, S. 7ff; Bastian/Helsper, 2000, 182ff; Kühn, 1996, S. 15.; Gudjons 1992, S. 35ff. 40 Stiller 1999, S Vgl. Wahl 1991, S Vgl. Wahl 2001, S. 158,. 43 Zu moralischen Zielen vgl. Liljestrom u.a. 2007, S zit. nach Neuß, 2009, 92. 5

6 Übung zum Weiterdenken: Für die Arbeit am nächsten Seminartermin bitten wir Sie nun, die folgenden Fragen zu beantworten. - Was im Text war neu für mich / hat mich überrascht? - Was im Text leuchtet mir nicht ein / ist mir fremd geblieben? - Welche Fragen habe ich jetzt? 6

7 Literaturverzeichnis Aguirre, J./Speer, N. (2000): Examining the Relationship Between Beliefs and Goals in Teacher Practice. In: Journal of Mathematical Behavior 18, S Baumert, J./Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9, S Bastian, J./Helsper, W. (2000): Professionalisierung im Lehrbreruf Bilanzierung und Perspektiven. In: Bastian, J./Helsper, W./Reh, S./Schelle, C. (Hrsg.): Professionalisierung im Lehrberuf. Von der Kritik der Lehrerrolle zur pädagogischen Professionalität. Opladen: Leske + Budrich, S Bromme, R. (2003, Wiederabdruck von 1984): On the Limitations of the Theory Metaphor for the Study of Teachers Expert Knowledge. In: Kompf, M./Denicolo, P. (Hrsg.): Teacher Thinking twenty Years on: Revisting persisting Problems and Advances in Education. Liss, Nl: Swets & Zeitlinger, S Bromme, R./Rheinberg, F./Minsel, B./Winteler, A./Weidenmann, B. ( ): Die Erziehenden und Lehrenden. In: Krapp, A./Weidenmann, B. (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim/Basel: Beltz, S Carpenter, T./Fennema, E. (1992): Cognitively Guided Instruction: Building on the Knowledge of Students and Teachers. In: International Journal of Educational Research 17, S Diedrich, M./Thußbas, C./Klieme, E. (2002): Professionelles Lehrerwissen und selbstberichtete Unterrichtspraxis im Fach Mathematik. In: Prenzel, M./Doll, J. (Hrsg.): Bildungsqualität von Schule: Schulische und außerschulische Bedingun-gen mathematisch, naturwissenschaftlicher und überfachlicher Kompetenzen (45. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik). Weinheim/Basel: Beltz, S Gerhart, S. ( ): Lernen und Wissenserwerb. In: Krapp, A./Weidenmann, B. (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim/Basel: Beltz, S Groeben, N./Wahl, D./Schlee, J./Scheele, B. (1988): Forschungsprogramm subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen: Francke. Gudjons, H./Pieper, M./Wagener, B. (1992): Auf meinen Spuren. Das Entdecken der eigenen Lebensgeschichte, Hamburg: Bergmann und Helbig. Helsper, W. (2002a): Lehrerprofessionalität als antinomische Handllungsstruktur. In: Kraul, M./Marotzki, W./Schweppe, C. (Hrsg.): Biographie und Profession. Bad Heilbrunn/Obb.: Verlag Julius Klinkhardt, S Helsper, W. (2002b): Wissen, Können, Nicht-Wissen-Können: Wissensformen des Lehrers und Konsequenzen für die Lehrerbildung. In: Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung Halle (Hrsg.): Die Lehrerbildung der Zukunft eine Streitschrift. Opladen: Leske + Budrich, S Helsper, W. (2007): Eine Antwort auf Jürgen Baumerts und Mareike Kunters Kritik am strukturtheoretischen Professionsansatz. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10, H.4, S Hollingsworth, S. (1989): Prior beliefs and cognitive change in learning to teach. In: American Educational Research Journal 26 (2), S Korthagen, F. (1993): Two modes of reflection. In: Teacher & Teacher Education 9, S Kraul, M./Marotzki, W. (2002): Bildung und Biographische Arbeit Eine Einleitung, in: M. Kraul/W. Marotzki: Biographische Arbeit. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung, Opladen: Leske + Budrich, S

8 Kühn, A. (1996): Biographisches Lernen im interdisziplinären Zusammenhang: Persönliche Soziologie Humanistische Psychologie Pädagogik, in: W. Schulz (Hg.): Lebensgeschichten und Lernwege. Anregungen und Reflexionen zu biographischen Lernprozessen, Hohengehren: Schneider-Verlag, S Liljestrom, A./Roulston, K./Demarrais, K. (2007): There's no place for feeling like this in the workplace : Women teachers' anger in school settings. In: Schutz, P. A./Pekrun, R. (Hrsg.): Emotion in Education. San Diego/London: Elsevier, S Neuß, N. (2009): Biographisch bedeutsames Lernen. Empirische Studien über Lerngeschichten in der Lehrerbildung, Opladen und Farmington Hills. Pajares, M. F. (1992): Teachers' beliefs and educational research: Cleaning up a messy construct. In: Review of Educational Research 62 (3), S Peterson, P./Fennema, E./Carpenter, T./Loef, M. (1989): Teachers Pedagogical Content Beliefs in Mathematics. In: Cognition and Instruction 6, S Schulze, T. (1979): Autobiografie und Lebensgeschichte, in: D. Baacke/T. Schulze (Hrsg.): Aus Geschichten lernen. Zur Einübung pädagogischen Verstehens, Weinheim u.a.: Juventa-Verlag, S Staub, F./Stern, E. (2002): The Nature of Teachers Pedagogical Content Beliefs Matters for Student s Achievement Gains: Quasi-Experimental Evidence From Elementary Mathematics. In: Journal of Educational Psychology 94, S Stern, E. (2009): Implizite und explizite Lernprozesse bei Lehrerinnen und Lehrern. In: Zlatkin- Troitschanskaia, O./Beck, K./Sembill, D./Nickolaus, R./Mulder, R. (Hrsg.): Lehrerprofessionalität. Bedingungen, Genese, Wirkungen und ihre Messung. Weinheim/Basel: Beltz Verlag, S Stipek, D./Givvin, K./Salmon, J./MacGyvers, C. (2001): Teachers beliefs and practices related to mathematics instruction. In: Teaching and Teacher Education 17, S Terhart, E. (1995): Lehrerbiographien. In: König, E./Zedler, P. (Hrsg.): Bilanz qualitativer Forschung, Bd.2. Weinheim: Deutscher Studienverlag, S Törner, G./Rolka K./Wüllner, S. (2005): Die fachmathematische Struktur als Auffangnetz - Analyse einer Unterrichtssituation im Lichte von Schoenfeld s Theorie Teaching-In-Context. In: Kaune, C./Schwank, I./Sjuts, J. (Hrsg.): Ma-thematikdidaktik im Wissenschaftsgefüge: Zum Verstehen und Unterrichten ma-thematischen Denkens (Bd.2). Osnabrück: Forschungsinstitut für Mathematikdidaktik, S Wahl, D. (1991): Handeln unter Druck. Der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildern. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag. Wahl, D. (2001): Nachhaltige Wege vom Wissen zum Handeln. In: Beiträge zur Lehrerbildung 19 (2), S Wahl, D. (2010): Wirksamkeit von Fortbildungen. Vortrag auf dem Netzwerktreffen des Thüringer Institutes für Lehrerfortbildung und Medien in Bad Berka. Wieser, D. (2008): Literaturunterricht aus Sicht der Lehrenden. Eine qualitative Interviewstudie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Zeichner, K. M./Gore, J. M. (1990): Teacher socialization. In: Houston, W. R. (Hrsg.): Handbook of research on teacher education. A project of the association of teacher educators. New York: Macmillan Publishing Company, S Zimbardo, P. G./Gerrig, R. J. (16,2004): Psychologie. München: Pearson Studium. 8

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